Die vorliegende Untersuchung verfolgt das Ziel, die Beschaffung bio-regionaler Lebensmittel in der Gemeinschaftsverpflegung zu analysieren und potenzielle Einflussfaktoren zu identifizieren. Die anfängliche Annahme, dass die regionale Vielfalt und der Wohlstand einer Stadt den Anteil regionaler bzw. bio-regionaler Produkte beeinflussen, konnte nicht bestätigt werden. Basierend auf Interviews mit Küchenpersonal (neun Interviews), einer Online-Umfrage (35 Datensätzen) und der Analyse europäischer Projekte (Forum Synergies and ARC2020 2022) wurden 13 Hypothesen formuliert. Sechs davon beziehen sich auf interne Faktoren, sieben auf externe.
Politik und Verwaltung spielen eine Schlüsselrolle
Nur wenn diese beiden Bereiche ihre Verantwortung ernst nehmen und bei Finanzierung und Organisation unterstützen, können kleinere Betriebe und Graswurzel-Projekte langfristig erfolgreich sein. Best-Practice Beispiele wie Kopenhagen (The City of Copenhagen 2024) sowie die französischen Gemeinden Plessé (ARC2020 2022) und Mouans-Sartoux (Maison Education Alimentation Durable n. d.) unterstreichen diese Notwendigkeit (Quellen s. unten).
Vorgaben ohne Kontrollen reichen nicht aus
Die Stadt Marburg zeigt, dass die bloße Formulierung von Beschaffungsvorgaben ohne Schulungen, Kontrollen und Unterstützung unzureichend ist bzw. nur von besonders nachhaltig eingestelltem und intrinsisch motiviertem Küchenpersonal umgesetzt wird. Zwar bestehen hier seit vielen Jahren vorbildliche Vorgaben für Kindertageseinrichtungen, nämlich möglichst regional, saisonal und biologisch erzeugt einzukaufen, jedoch werden diese Vorgaben in vielen Einrichtungen nicht oder nicht optimal umgesetzt.
Berücksichtigte Kriterien
Die Analyse von Interviews und Umfrageergebnissen erfolgte unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien, u.a.:
Intrinsische Motivation des Küchenpersonals: Persönlicher Grad der Umweltbildung/hohes Umwelt-/Klima-Bewusstsein; Flexibilität, Prozesse anzupassen; Kreativität; Motivation, lokale Partnerschaften einzugehen Wirtschaftliche Situation: Vorhandenes Budget; Personalschlüssel; Größe des Betriebs
Politische Situation: Vorgaben der Stadt/Kommune; Unterstützung durch Stadt/Kommune Einkaufsmöglichkeiten vor Ort: Einkaufsmöglichkeit/Händler vor Ort; Lieferung von Großgebinden
Regionale Beschaffenheiten: Produktverfügbarkeit regionaler Produkte; Selbstversorgungsgrade pro Region
Demographische Daten: Bevölkerungsdichte, Bevölkerung nach Altersgruppen, Haushaltsgrößen, BIP, Einkommen nach Haushalten, Zusammensetzung der Berufsgruppen je Region usw.
Die abgeleiteten Hypothesen wurden in interne und externe Faktoren unterteilt.
Interne Faktoren konzentrieren sich hauptsächlich, jedoch nicht ausschließlich, auf den Küchenbetrieb selbst, das dort tätige Küchenpersonal (inkl. Einkauf) und die vorhandenen Ressourcen vor Ort, insbesondere Budget, Zeit und Personalschlüssel.
Externe Faktoren beziehen sich hauptsächlich, jedoch nicht ausschließlich, auf Aspekte, die sowohl den Küchenbetrieb als auch regionalen Wertschöpfungsketten als Gesamtsystem beeinflussen.
Die demographischen Daten wurden auf Landkreisebene für das Bundesland Hessen aus der offiziellen Online-Datenbank der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Destatis) entnommen. Es konnte keine klare Interdependenz zwischen demografischen Daten und einem höheren oder geringeren Einkauf (bio-)regionaler Produkte in der GV festgestellt werden.
Ebenso existieren nach unseren Erkenntnissen keine Zusammenhänge zwischen besonders hohen oder besonders niedrigen Anteilen (bio-) regionaler Lebensmittel in einzelnen Gemeinschaftseinrichtungen und den jeweils vorherrschenden Selbstversorgungsgraden in der Region, die auf diversen Vorarbeiten basieren (Schön und Böhringer 2023).
Hypothesen zur Erhöhung des Anteils bio-regionaler Lebensmittel in Gemeinschaftsverpflegungen
Interne Faktoren:
1. Personalschlüssel vs. persönliches Bewusstsein:
Der Personalschlüssel hat eine höhere Relevanz als die individuelle Einstellung der Mitarbeitenden zum nachhaltigen Einkaufen. Küchen sind oft an vorhandene Ressourcen (Zeit/Personal/Budget) gebunden.
Betriebe mit einem höheren Anteil an Conveniencefood neigen dazu, beim Großhandel einzukaufen, aufgrund von fehlenden regionalen Verfügbarkeiten, höheren Preisen regionaler Produkte und der Bequemlichkeit, alle benötigten Produkte beim Großhandel zu erhalten.
2. Selbsteinschätzung der Betriebsgröße und regionale Produkte:
Kleinere Küchen, die sich als zu klein einschätzen, um beliefert zu werden, weisen tendenziell einen geringeren Anteil an regionalen Produkten auf.
3. Budget und Kreativität bei Einkäufen:
Das Budget ist wichtig, aber nicht entscheidend. Kreatives Küchenpersonal mit einer Affinität zu (bio-)regionalen Lebensmitteln passt Rezepte und Abläufe an, um bio-regionale Produkte zu nutzen. Mitarbeitende suchen auch eigenständig nach lokalen Lieferant:innen.
4. Regionale Einkäufe unabhängig von Produktverfügbarkeit:
Die Entscheidung, regional einzukaufen, hängt nicht von der Warenverfügbarkeit oder hohen Selbstversorgungsgraden der Region ab, sondern eher von der Motivation des Küchenpersonals, regionaler einzukaufen.
5. Wissen, Bewusstsein und externe Vorgaben: Die Einhaltung externer Vorgaben für nachhaltige Einkäufe erfolgt eher bei Küchenpersonal mit einem höheren Bewusstsein und Wissen über Nachhaltigkeit, Klimaschutz, biologischen Anbau und Saisonalität, besonders wenn keine Kontrollen stattfinden.
6. Kommunale Vorgaben zur Beschaffung brauchen Kontrollen: Die Einhaltung nachhaltiger Einkaufsvorgaben, die Städte oder Kommunen machen, sind nicht automatisch gewährleistet. Klare Vorgaben, regelmäßige Kontrollen und unterstützende Maßnahmen sind unerlässlich für Küchen, um die erfolgreiche Umsetzung sicherzustellen.
Externe Faktoren:
7. Höherer Stellenwert für bio-regionale Lebensmittel:
Um Gemeinschaftsverpflegungen zu motivieren, mehr bio-regionale Lebensmittel einzukaufen, muss diesen Lebensmitteln eine größere gesellschaftliche Bedeutung zukommen.
8. Änderungen des Lebensmittelsystems nicht ohne politische Maßnahmen:
Es bedarf einer holistischen Betrachtung des Lebensmittelsystems, damit regionale Lebensmittel und landwirtschaftliche Berufe an Attraktivität gewinnen. Probleme wie die Unterbezahlung von Landarbeiter:innen und die mangelnde Wertschätzung von Lebensmitteln müssen aufgelöst werden. Wichtige Stellschrauben können ohne politische Unterstützung nicht genügend bewegt werden. Der freie Markt, so zeigt es die Vergangenheit, löst diese Probleme ohne ernstgemeinte politische Maßnahmen nicht.
9. Änderungen in der Gemeinschaftsverpflegung durch politische Entscheidungen:
Eine Veränderung im Einkaufsverhalten der Gemeinschaftsverpflegung, insbesondere in Schulen, Kitas und öffentlichen Kantinen, erfordert klare politische Entscheidungen, Mehrkosten zu tragen – unabhängig von Wahlzyklen.
10. Investitionen in regionale Wertschöpfungsketten:
Erzeuger:innen und Unternehmer:innen werden erst in den Auf- und Ausbau mittelgroßer Infrastruktur für regionale Wertschöpfungsketten investieren, wenn sichergestellt ist, dass bio-regionale Lebensmittel langfristig in und für öffentliche Kantinen und Mensen beschafft werden.
11. Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen für Kleinunternehmen:
Relevante rechtliche Rahmenbedingungen müssen an kleinere Erzeuger:innen, Kleinunternehmen und lokale Wirtschaften angepasst werden, um eine unterstützende Umgebung zu schaffen. Die Auflagen von Kleinunternehmer:innen dürfen nicht deckungsgleich für die Auflagen großer Unternehmen sein. Bürokratische Hürden müssen abgebaut werden, um die Entwicklung und Verbreitung regionaler Projekte zu erleichtern.
12. Notwendigkeit unabhängiger regionaler Zentren:
Die Einrichtung unabhängiger regionaler Zentren für Erzeuger:innen und Handwerksbetriebe, unterstützt durch Wissenstransfer und industrie-unabhängige Forschung, ist entscheidend. Politische Maßnahmen als Lösung für Herausforderungen: Lokale und regionale Projekte sind ohne politische Unterstützung bei Koordination, Organisation und vor allem Finanzierung nur schwer bzw. gar nicht umsetzbar, da langfristiges ehrenamtliches Engagement und alleiniges finanzielles Risiko selten aufgebracht werden können.
Ihre Erfahrungswerte Sind Sie Akteur:in am regionalen, hessischen Lebensmittelmarkt? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Welche Barrieren zur lokalen Versorgung nehmen Sie wahr? Möchten Sie Ihre Verbindungen in denn Handel und/oder Außer-Haus Versorgungsbereich erweitern und Absatz dorthin erhöhen?
Schreiben Sie uns gerne an:
Literaturverzeichnis
ARC2020 (2022): Rural Europe Takes Action. Creative Municipalities. Latest form the ARC network. Online verfügbar unter www.arc2020.eu/rural-europe-takes-action-creative-municipalities/, zuletzt geprüft am 01.02.2024.
Forum Synergies and ARC2020 (Hg.) (2022): Rural Europe Takes Action. No more business as usual. Brüssel: Forum synergies ASBL. Online verfügbar unter www.arc2020.eu/wp-content/uploads/2022/07/RETA-final-5MB.pdf.
Maison Education Alimentation Durable (n. d.): Mouans-Sartoux Territorial Food Project. Online verfügbar unter mead-mouans-sartoux.fr/en/pour-un-projet-alimentaire-de-territoire-a-mouans-sartoux/ zuletzt geprüft am 01.02.2024.
Schön, Anna-Mara; Böhringer, Marita (2023): Land Consumption for Current Diets Compared with That for the Planetary Health Diet—How Many People Can Our Land Feed? In: Sustainability 15 (11), S. 8675. DOI: 10.3390/su15118675. The City of Copenhagen (2024): The City of Copenhagen Food Strategy. Online verfügbar unter maaltider.kk.dk/english, zuletzt geprüft am 01.02.2024.